Podiumsdiskussion zur Schicksalswahl in Rumänien

Rumänien scheint manchmal weit weg, doch ist die zur Zeit laufende Präsidentschaftswahl wichtiger, als man denken könnte. Zumal es ihr zweiter Anlauf ist, nachdem der erste Wahlgang Ende 2024 wegen massiver Wahlbeeinflussung annulliert worden war. Am 7.5. habe ich in Jena zusammen mit Jun.-Prof. Dr. Valeska Bopp-Filimonov über diesen bislang einmaligen Vorgang in der EU und die anstehende Wahl eine Podiumsdiskussion moderiert.

Rumänien: näher als man denkt

Manche meinen ja, Deutschland habe ein Migrationsproblem. Dabei profitiert kaum ein Land so sehr von Migration wie Deutschland. Im Rahmen der EU-Freizügigkeit leben zur Zeit ca. 900.000 rumänische Staatsbürgerinnen und -bürger in Deutschland. Das ist die größte Gruppe aus der EU und nach der Türkei, der Ukraine und Syrien die viertgrößte Gruppe insgesamt.1 Ein Großteil von ihnen arbeitet auf dem Bau, in der Pflege oder in der Fleisch- und Landwirtschaft; ein kleinerer Teil gehört zu den gut ausgebildeten Akademiker*innen, die für die Karriere ihr Heimatland verlassen. Ohne rumänische Arbeitskraft sähe es vielerorts mau aus hierzulande.

Seit seinem Beitritt zur EU im Jahr 2007 hat sich Rumänien zu einem „heimlichen Star der EU-Osterweiterung“2 entwickelt. Wirtschaftlicher Aufschwung, eine verlässlich pro-europäische Grundstimmung, kaum Probleme mit Rechtspopulismus: Wenig aus Rumänien zu hören war lange ein Zeichen von Verlässlichkeit, gerade in Zeiten, in denen die Störenfriede wie Orban & Co. die Schlagzeilen dominieren. Ähnlich sieht es im Krieg Russlands gegen die Ukraine aus: Rumänien hat eine 600 km lange Grenze mit der Ukraine und fast 700 km mit der Republik Moldau, die auch im Visier von Russlands hybrider Kriegsführung steht. Macht 1300 km EU-Außengrenze. Als NATO-Mitglied (seit 2004) gehört Rumänien zu den verlässlichsten Unterstützern Kiews und einer ‚gemeinsamen europäischen Antwort‘. Zur Zeit wird der Luftwaffenstützpunkt „Mihail Kogălniceanu“ nahe der Hafenstadt Constanța zur größten NATO-Basis in Europa ausgebaut, deutlich größer etwa als Ramstein in Deutschland. Die strategische Bedeutung Rumäniens in Richtung Schwarzmeerraum ist also kaum zu unterschätzen.

Europas Demokratien unter Druck: Kippt noch ein Land ins Putin-Lager?

Es ist daher wenig verwunderlich, dass Rumänien ein lohnendes Ziel von Destabilisierungsbemühungen Russlands ist. Wie gewohnt setzt Moskau, das behauptet, in der Ukraine einen Krieg gegen den ‚Faschismus‘ zu führen, auf die Kräfte des Ressentiments, des Nationalismus und der Illiberalität. In Rumänien wird dieses Lager zur Zeit von der Partei AUR angeführt, die mit der faschistischen Vergangenheit Rumäniens kokettiert, ultranationalistisch ausgerichtet ist und aufgrund ihrer starken Betonung der Bedeutung des orthodoxen Glaubens auch der christlichen Rechten zugeordnet wird. Ihr Kandidat, der bis dahin weitgehend unbekannte Politiker Călin Georgescu, erzielte im ersten Wahlgang am 24. November 2024 mit 22,9 % der Stimmen überraschend das beste Ergebnis aller Kandidaten. Diesen unerwarteten Erfolg verdankte Georgescu einer massiven Social-Media-Kampagne vor allem via TikTok, deren Finanzierung und Hintermänner bis heute nicht ganz geklärt sind und hinter der schnell der Kreml oder russische Akteure vermutet wurden. Wegen dieser ganz offensichtlich illegalen Wahlbeeinflussung annullierte das rumänische Verfassungsgericht den ersten Wahlgang am 6. Dezember 2024 und ordnete eine Neuwahl an.

Von dieser Neuwahl wurde Călin Georgescu von der obersten Wahlbehörde ausgeschlossen. An seiner Stelle tritt der AUR-Vorsitzende und ex-Hooligan George Simion für ihn an und erreichte im ersten Wahlgang am 4.5.2025 sogar 41% der Stimmen. Am 18. Mai steht die Stichwahl an, in der die pro-europäischen Hoffnungen auf dem parteilosen Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan ruhen. Zwar erzielte er nur 21% der Stimmen, könnte aber das Rennen machen, wenn sich die übrigen demokratischen Parteien hinter ihm sammeln und ihre Anhänger zu seiner Wahl mobilisieren. Für Rumänien und die EU könnte davon sehr viel abhängen.

Wehrhafte Demokratie in Aktion?

Das Besondere an diesem neuerlichen Kapitel der Destabilisierungsversuche ist, dass erstmals in der EU eine demokratische Wahl wegen solcher Unregelmäßigkeiten annulliert wurde. Dieser Schritt fällt in eine Zeit, in der sich die konstitutionellen Demokratien Europas zunehmend ihrer Instrumente der wehrhaften Demokratie bewusst werden, und sie auch anzuwenden bereit sind. In Frankreich steht die Kandidatur Marine LePens bei der nächsten Präsidentschaftswahl (selbstverschuldet) auf der Kippe, in Deutschland wurde die AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Die Bereitschaft scheint zu steigen, demokratische Verfahren, den Rechtsstaat und die Demokratie vor ihren Feinden und einer Einmischung von außen zu schützen. In diesen Lagern wittert man in diesen Bestrebungen hingegen selbst eine unrechtmäßige Beschneidung des demokratischen Wettbewerbs und inszeniert sich (durchaus gekonnt) als Opfer des ‚Establishments‘. Auf diese Narrative ist auch zurückzuführen, dass in der Wahlwiederholung in Rumänien der Erfolg der AUR noch größer ist als in der abgebrochenen Wahl von Ende 2024.

Dieser Erfolg zeigt zugleich auch – und das machte unsere Podiumsdiskussion deutlich – dass es zu einfach wäre, die Schuld allein in einer ‚Einmischung von außen‘ und in unlauterem Wahlkampf zu suchen und die Hoffnung allein auf die staatlichen Instrumente der wehrhaften Demokratie zu legen. Denn viele der Probleme, die den Aufstieg der Rechtspopulisten und -extremisten in vielen europäischen Ländern ermöglichen, sind auch hausgemacht. Im Falle Rumäniens ist das etwa der Umstand, dass die große europäische Arbeitsmigration viele soziale und ökonomische Probleme des Landes weiter entschärft, ohne dass sie behoben werden. Hinzu kommen eine große (soziale und regionale) Ungleichverteilung von ökonomischen Chancen und sozialer und kultureller Teilhabe und ein politischer Betrieb, der oft als ein Regieren von Wenigen für Wenige wahrgenommen wird. Geschichts- und erinnerungspolitisch ist im ost- und südosteuropäischen Raum sehr oft auch eine unzureichende Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg ein weiterer Faktor dafür, dass es die Rechten mit ihrer Geschichtsklitterung so leicht haben.

Die effektivste und nachhaltigste Bekämpfung der Kräfte des Ressentiments, des Nationalismus und der Illiberalität besteht daher darin, diese ‚Performanz‘ der liberalen Demokratien in Europa zu verbessern. Politisch, indem mehr Teilhabe an Wohlstand, Chancen und Gestaltung ermöglicht wird. Gesellschaftlich, indem permanent für diese Werte und europäischen Bestrebungen gekämpft wird – und dafür auch seitens der Politik mehr Möglichkeitsräume geöffnet werden. Solange der Nährboden der Zersetzung nicht entzogen wird, können nur Symptome bekämpft werden. Dafür können Verfassungsgerichte, Staatsanwaltschaften, Verfassungsschutzbehörden usw. wichtige Instrumente sein, aber sie sind kein Allheilmittel.

Premiere geglückt: meine erste Co-Moderation

Für mich persönlich war die Möglichkeit, die Podiumsdiskussion zu all diesen Fragen mit zu moderieren, ein wirklich großer Gewinn. Nicht nur dadurch, dass ich sehr viel über eines unsere europäischen Partnerländer gelernt habe, das ich sonst wenig auf dem Radar habe. Sondern auch dadurch, dass ich spannende Menschen kennenlernen konnte, die mit ihrer Expertise all diese Fragen kenntnisreich und ausgewogen besprechen konnten. Vielen Dank daher an Roxana Alice Stoenescu, Bogdan Murgescu, Lorin Stan und Henry Rammelt.

Neu war für mich außerdem nicht nur das Thema, sondern auch das Format. Nach unzähligen Podien, die ich bislang so moderiert habe, war es das erste Mal mit einer ‚richtigen‘ Co-Moderation. Danke daher auch noch mal an Valeska Bopp-Filimonov, die sich auf dieses gemeinsame Experiment eingelassen hat. Die Idee dahinter war, auch in der Moderation schon zwei Perspektiven zusammenzubringen: einmal die starke Rumänien-Expertise Frau Bopp-Filimonovs, besonders mit Blick auf Gesellschaft und Kultur, und zum anderen der politikwissenschaftliche Blick, der sich mit den vielfältigen Bedrohungen und der Verteidigung der Demokratie in Geschichte und Gegenwart beschäftigt. Ich fand, dass sich das sehr schön ergänzt hat, und auch dem Publikum hatte es offenbar sehr gut gefallen…

  1. Siehe hier ↩︎
  2. Siehe hier. Aus dem Programmtext haben wir zu Beginn der Veranstaltung zitiert, um deutlich zu machen, wie sehr sich innerhalb eines Jahres die Verhältnisse in Rumänien verändert haben und was bei der Wahl auf dem Spiel steht. ↩︎

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